11 Apr Space Craze – wem gehört das All?
Um den Space Craze, das neu erwachte Interesse am Weltall, besser zu verstehen, hat unsere Kollegin Laura mit einem Spacecraft Operations Manager der ESA gesprochen.
Als einer unserer Trends 2024 hat es uns Space Craze besonders angetan. Das All fasziniert uns Menschen seit Jahrtausenden – doch inzwischen ist ein regelrechter Hype entfacht. In den 1960er-Jahren war das Interesse an Sonne, Mond und Sternen besonders groß, da zwei Weltmächte sich in einem atemberaubenden Wettlauf an die Grenzen der menschlichen Natur überboten. Heute mischen auch private Firmen wie Space X mit und zeigen uns, wie die Raumfahrt von morgen aussehen könnte – und welche Möglichkeiten noch immer im All schlummern. Was bedeutet das für die Wissenschaft und für uns Erdbewohner:innen?
Um das herauszufinden, habe ich mit jemandem gesprochen, der es wissen muss: Thomas Ormston. Der Deputy Spacecraft Operations Manager arbeitet im Mission Control Center der European Space Agency (ESA), das nur wenige Kilometer von Frankfurt entfernt in Darmstadt liegt. Hier ist er für die Sentinel-1 Mission zuständig. Gut, dass er auch auf Wissenschaftskommunikation spezialisiert ist, sonst hätte ich vermutlich kein Wort unseres Gesprächs verstanden!
Der neue Wettlauf ins All
Beim neuen Space Race der privaten Weltraumdienstleister geht es nicht nur um Politik und Forschung, sondern zunehmend um neue attraktive Geschäftsideen, erzählt der 41-jährige ESA-Mitarbeiter. „Ich halte es für sehr positiv, dass der private Sektor wächst und uns herausfordert“, ordnet er die Entwicklung ein. „Denn in einem Markt ohne Konkurrenz gibt es weniger innovative Entwicklungen.“ Besonders spannend dabei: Die lukrativsten Geschäftsmodelle im All zielen nicht auf futuristische Marskolonien oder teure Tourismusflüge ab, sondern beschäftigen sich mit unserem Heimatplaneten.
Viele Satelliten, die die Erde umkreisen, sind auf Erdbeobachtung spezialisiert, die vielfältige Funktionen erfüllt: von Klimamonitoring über Katastrophenschutz oder Einblicke in Krisengebiete. Die ESA hat das alles im Blick – doch nur durch Kooperation entsteht ein vollständiges Bild mit verlässlichen Daten. Dafür braucht es oft private Dienstleister wie beispielsweise Planet Labs, ein Unternehmen, das jeden Tag die gesamte Erdoberfläche aufnimmt, um Veränderungen auf der Erde sichtbar zu machen. Auf Anfrage werden konkrete Ziele in höherer Auflösung abgelichtet. Doch trotz der Planet-eigenen Flotte an Satelliten, die mit Raketen von Space X ins All geschossen werden, haben staatliche Raumfahrtorganisationen nach wie vor größte Bedeutung. „Wir liefern mit Bildern der ganzen Welt rund um die Uhr Kontext für private Firmen, die sich wiederum auf bestimmte Ausschnitte konzentrieren“, erklärt Thomas Ormston die Zusammenhänge.
Ein digitaler Zwilling für die Erde
Erstaunlicherweise kommen im Raumfahrtsektor teilweise sehr alte Technologien zum Einsatz: Die Raumsonden Voyager 1 und 2 sind beispielsweise seit den 1970er-Jahren unterwegs. Gleichzeitig beschäftigen sich die Forschenden von ESA auch mit modernster Software. Im Moment entsteht ein digitaler Zwilling der Erde. Mithilfe riesiger Mengen an Erdbeobachtungsdaten wird dieser ständig mit Informationen gefüttert und mit In-situ-Messungen und künstlicher Intelligenz kombiniert. Das Modell soll den Zustand des Planeten überwachen, die Wechselwirkung von Mensch und Ökosystem simulieren und die europäische Umweltpolitik unterstützen. Dafür soll es unter anderem den Einfluss von Umweltfaktoren auf Wald, Wasserbestände, Antarktis, Ozeane und Klima-Hotspots abbilden. Im Kampf gegen den Klimawandel kann das von unschätzbarem Wert sein.
Von Aliens und Weltraumschrott
Neben den Herausforderungen, die uns auf der Erde erwarten, beschäftigt die ESA sich natürlich auch mit den Gefahren aus dem All. Spoiler: Aliens stehen ziemlich weit unten auf der Liste möglicher Szenarien. Ein anderes menschengemachtes Problem bereitet Thomas größere Sorgen: Weltraumschrott. „Wenn wir nichts tun, könnten die Umlaufbahnen nahe der Erde in einigen hundert Jahren unbrauchbar werden“, meint er.
Die Erdumlaufbahnen werden nicht zuletzt durch die steigende Anzahl privater Weltraummissionen immer voller. Auch kaputte Satelliten und Sonden rasen mit Höchstgeschwindigkeit in ihren alten Laufbahnen um die Erde und werden zum Sicherheitsrisiko: Schon kleinste Teilchen können anderen Flugkörpern irreparablen Schaden zufügen und gefährliche Unfälle auslösen. Deshalb arbeiten Forscher:innen mit Hochdruck an Missionen, die mit Greifarmen wenigstens die größten Weltraumschrott-Teile aus dem Verkehr ziehen.
Mit unendlicher Weite kommt unendliche Verantwortung
Wo wären wir eigentlich ohne Weltraumforschung? Thomas lacht. „Die kurze Antwort ist: Ohne Raumfahrt gäbe es kein modernes Leben, wie wir es kennen.“ Neben den beliebten Marsmissionen oder prestigeträchtigen Forschungsprojekten wie dem James Webb Teleskop schenken uns Satelliten grundlegende Informationen über unsere Umwelt und ermöglichen Dienste, die wir täglich nutzen.
Ohne Satelliten kein Internet, das uns grenzenlose Unterhaltung sowie Zugang zu wichtigem Wissen bietet. Zudem kein Fernsehen, keine Wettervorhersage und kein GPS für den Warenverkehr oder die Fahrt nach Hause. Und ein Aspekt, der oft übersehen wird: Ohne die akkuraten Uhrzeiten von Satellitenuhren würde unser Geldtransfersystem nicht mehr funktionieren und der stetig fließende Strom von finanziellen Interaktionen zum Erliegen kommen.
Unser Fazit: Space Craze ist ein Trend, der gar nicht genug Aufmerksamkeit bekommen kann – denn das All gehört niemanden, doch wir brauchen es alle.
Über die Autorin: Laura Finckh ist Junior Texterin der Storytelling & Employer Comms Unit. Mit ihrem Abschluss in Literatur und Anglistik sammelte sie erste Erfahrungen in Verlagen, Vereins-PR und einer Zeitschriftenredaktion. Ob Copywriting, Lektorieren, Übersetzen oder Prompten – Lauras Gespür für Sprache und Kommunikation lässt sie nie im Stich.
Trends: Adel & Link HIVE Studios
Fotos: Unsplash, Brian McGowan; privat; Unsplash, Space X; ESA