Life in Sync – Vom Tabu zur Praxis: Mitarbeitende in den Wechseljahren begleiten

Im zweiten Teil unserer Serie zum Trendthema „Life in Sync“ dreht sich alles darum, wie Unternehmen und Arbeitgebende Mitarbeitende in hormonellen Umbruchphasen unterstützen können. Über Enttabuisierung, Herausforderungen und praktische Umsetzung haben wir mit Expertin Anke Sinnigen gesprochen.

43 Millionen Frauen leben laut Statista insgesamt in Deutschland (Stand Ende 2024). Das ist etwas mehr als die Hälfte der Gesamtbevölkerung. Rund elf Millionen Frauen befinden sich in der Altersgruppe zwischen 40 und 59 Jahren – ein Alter, in dem sich naturgemäß hormonell einiges ändert. Und ein Alter, in dem viele Frauen eigentlich fest im Berufsleben stehen. Unglaubliche 93 Prozent der 45- bis 60-jährigen berufstätigen Frauen berichten laut einer Forsa-Umfrage aus dem Jahr 2023 von Wechseljahresbeschwerden und damit einhergehenden Beeinträchtigungen im Berufs- und Privatleben. Ein deutlicher Hinweis darauf, welch großen Einfluss Hormone auf die Karriere haben können. Mehr zu den konkreten Auswirkungen könnt ihr im ersten Beitrag zum Thema Life in Sync hier auf dem Blog nachlesen.

Wichtig für Unternehmen und Arbeitgebende: Die gesundheitlichen Auswirkungen führen in Deutschland zu einem wirtschaftlichen Schaden in Höhe von rund 9,4 Milliarden Euro jährlich (MenoSupport-Studie), weil Frauen in der Folge Arbeitszeit reduzieren, Führungspositionen ausschlagen oder ganz aus dem Beruf ausscheiden. 

Über die Enttabuisierung dieses Themas sowie praktische Lösungsansätze im Arbeitsalltag haben wir mit der Expertin Anke Sinnigen gesprochen: Sie ist Autorin und Gründerin der evidenzbasierten Wissens- und Beratungsplattform wexxeljahre, die Factsheets, Webinare, Kurse, eine Online-Sprechstunde mit Ärztinnen sowie Inhalte für Unternehmen in Form von Workshops und Beratungen zum Thema am Arbeitsplatz bietet.

Anke Sinnigen, Autorin und Gründerin von wexxeljahre.de, lächelt in die Kamera, sitzend vor petrolfarbenem Hintergrund.

Anke Sinnigen, Autorin und Gründerin der Wissensplattform „wexxeljahre“.

Warum sollten wir am Arbeitsplatz mehr über die Wechseljahre sprechen?

Anke Sinnigen: Enttabuisierung ist die Voraussetzung dafür, dass Frauen gute Entscheidungen für ihre Gesundheit treffen – und dass Unternehmen sie im Arbeitsalltag wirksam unterstützen. Über die Hälfte der berufstätigen Frauen sagt laut der aktuellen MenoSupport-Studie, dass die Wechseljahre am Arbeitsplatz ein Tabu sind. Gleichzeitig sehen wir Bewegung: Die Debatte ist im Deutschen Bundestag angekommen, und immer mehr Arbeitgeber holen das Thema in ihre Gesundheitsstrategie. 

Was war Ihr Beweggrund, wexxeljahre zu gründen, und welche Lücke wollten Sie im Unternehmenskontext damit schließen?

Ich habe 2021 die Wissensplattform wexxeljahre gegründet, weil ich überall Unwissen, Verharmlosung und Angstmacherei erlebt habe, wie „Da müssen Sie jetzt durch!“ oder „Wenn Sie Hormone nehmen, kriegen Sie Brustkrebs“. Wir schließen zwei Lücken: erstens verständliche, evidenzbasierte Aufklärung und Zugang zu spezialisierten Ärztinnen – beispielsweise in unserer Online-Sprechstunde unter ärztlicher Leitung von Dr. Judith Bildau. Und zweitens haben wir konkrete Angebote für Unternehmen, von Awareness-Veranstaltungen über Vorträge für Führungskräfte bis zur Ausbildung von Menopause Champions.

Welche typischen Herausforderungen beeinträchtigen die Mitarbeitenden am meisten?

Am Arbeitsplatz bremsen vor allem Schlafstörungen, Erschöpfung, Konzentrationsprobleme („Brain Fog“) und Hitzewallungen. Das deckt sich mit Daten aus der MenoSupport-Studie und mit unseren Gesprächen in Firmen. Viele Frauen sprechen nicht darüber, aus Angst vor Stigmatisierung; dadurch fehlen Unterstützung und Anpassungen im Arbeitsalltag.

Was können Unternehmen anders machen? Wie können sie am besten vorgehen?

Sinnvoll ist es zunächst, Awareness zu schaffen, beispielsweise mit einem kurzen, niedrigschwelligen Info-Talk für alle sowie einer Session für Führungskräfte. Wissen verankern ist dann der nächste Schritt, zum Beispiel mit mehrteiligen Lunch-&-Learn-Formaten oder mittels E-Learning. Die Enttabuisierung und die offene Kommunikation sind Dreh- und Angelpunkt. Am besten erarbeitet man die konkreten Bedürfnisse zusammen mit betroffenen Frauen. Denn es ist ja ein Unterschied, ob Frauen eine Bürotätigkeit haben, im Außendienst sind oder im Schichtdienst arbeiten. 

Und es hilft, offiziell Strukturen zu verankern und eine Art Menopause-Policy einzuführen (z. B. flexible Arbeitszeit/Ort, Kleidung/Arbeitsumgebung, klarer Verweis auf Ansprechpersonen).

Welche Maßnahmen werden in Unternehmen besonders positiv aufgenommen?

Besonders gut kommen offene Kommunikation, Aufklärungs- und Austauschformate oder Beratungen durch spezialisierte Mediziner:innen an. Auch ein Info-Hub im Intranet ist schnell eingerichtet. Weitere Maßnahmen, die sich viele Frauen wünschen, sind flexible Arbeitszeiten, ein Ruheraum oder gemeinsame Sportangebote für die Wechseljahre. Auch die Führungskräfte sollten unbedingt aufgeklärt werden. Großbritannien ist uns da ein paar Jahre voraus, dort haben Unternehmen längst erkannt, dass es wirtschaftlich sinnvoll ist, Frauen in den Wechseljahren zu unterstützen und im Unternehmen zu halten. Dort werden konkrete Maßnahmen in Menopause-Policys festgehalten und das Engagement sichtbar gemacht, um qualifizierte Mitarbeiterinnen zu gewinnen.

Buchcover von „Wechseljahre – das Upgrade“, von Autorin Anke Sinnigen.

Zum Nachlesen: In „Wechseljahre – Das Upgrade“ von Anke Sinnigen finden sich die wichtigsten Fakten über die Wechseljahre, inklusive alltagstauglicher Tipps, um in dieser Phase die richtigen Weichen zu stellen für Gesundheit, Berufs-, und Privatleben.

Welches Feedback bekommen Sie von den Teams, mit denen Sie bereits aktiv zusammengearbeitet haben?

Allein ein Aufklärungsvortrag ist für die meisten Mitarbeiterinnen sehr bereichernd. Zu spüren, ich muss da nicht alleine durch, meine Kolleginnen sind auch betroffen, und mit ihnen in den Austausch zu kommen, hilft vielen Frauen. Werden auch die Führungskräfte mitgenommen, ändert sich auch die unternehmensinterne Kultur: Frauen fühlen sich ernst genommen und sehen neue Perspektiven am Arbeitsplatz. Auch Männer profitieren von der Aufklärung und vom Austausch, das wird mir immer wieder gesagt. Denn die Wechseljahre treffen sie indirekt auch – sei es als Kollege, Vorgesetzter oder Partner.

Welchen langfristigen Impact erhoffen Sie sich für die Gesundheitsvorsorge von Frauen? Welche Vorteile gibt es für Unternehmen?

Langfristig stärken wir Frauengesundheit in einer Lebensphase, die über Jahrzehnte nachwirkt – Herz-, Knochen- und Gehirngesundheit eingeschlossen. Für Unternehmen ist das ein klarer Business Case: In Deutschland sind über 7,5 Millionen berufstätige Frauen im Wechseljahresalter, Frauen über 50 sind die am schnellsten wachsende Erwerbsgruppe. Wer sie unterstützt, sichert Erfahrung, Leistung und Diversität und wirkt aktiv dem Fachkräftemangel entgegen. Studien zeigen zudem, dass ohne passende Maßnahmen mehr Frauen ihre Arbeitszeit reduzieren oder früher in Rente gehen – das kostet Know-how und Geld. Deshalb gehört die Menopause nicht nur in die Gesundheitsstrategie, sondern in die Personalstrategie – und damit auf die Agenda der Unternehmensleitung.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

 

 

 

Über die Autorin Rena Schäfges:

Zeit das Porträt von Rena Schäfges, Director Storytelling & Employer Comms bei Adel & Link.

Rena studierte Germanistik und Geschichte in Heidelberg und Frankfurt, schrieb als freie Autorin für Tageszeitungen und arbeitete viele Jahre als Redakteurin im Bereich Corporate Publishing. Gute Geschichten lesen und selbst erzählen, das ist seit jeher ihre Leidenschaft. Bei Adel & Link leitet sie als Director die Unit Storytelling & Employer Comms.

 

 

 

 

 

 

Header: Adel & Link HIVE Studios

Fotos: Marvin Fuchs (Porträt Rena Schäfges), Petra Herbert (Porträt Anke Sinnigen)