TREND #Plasticalypse: Mit Pfandgläsern gegen die Plastikflut

An der Adalbertstraße mitten in Frankfurt-Bockenheim liegt etwas unscheinbar das gramm.genau, der erste „Unverpackt-Laden“ in Frankfurt. Drinnen: Minimalistische Café-Atmosphäre und eine Theke, dahinter rote Linsen, Nudeln und Reis in riesigen Eimern. Plastiktüten sucht man hier vergebens – die Lebensmittel werden hinter der Theke in Gläser abgefüllt. An einer Wand des Cafés stehen Hygieneprodukte wie festes Shampoo oder Deocremes. Wäre da nicht das Café, könnte man meinen, es wäre 1950 und man erledigt einen klassischen Einkauf bei Tante Emma. 

Foto: Kathi Krechting k.fotografie&artdesign

Als ich das gramm.genau betrete, herrscht reger Betrieb. Eine junge Frau hat gerade eine Tüte mit leeren Gläsern und dazu einen Einkaufszettel abgegeben und wartet nun darauf, dass Linsen, Nudeln und Kaffee in die Gläser wandern. Hinter ihr steht ein älteres Paar, ebenfalls mit leeren Gläsern in der Hand. Links sitzt ein Mann im Handwerkeroutfit und schlürft einen Kaffee. Auch ich bestelle schnell einen Kaffee und suche mir einen freien Tisch. Nachdem alle Kunden versorgt sind, setzt sich Alessa Schulz zu mir. Wir sind verabredet, um darüber zu sprechen, wie so ein Unverpackt-Laden funktioniert und ob wir in Zukunft alle mit Jutebeutel und Pfandglas einkaufen gehen sollten. 

Vom dreckigen Strand in Portugal zum Unverpackt-Laden in Frankfurt

Foto: Unsplash

Angefangen hat alles in Portugal. Gründerin Christine war dort zum Surfen. Sie störte, dass am Strand viel Plastik lag. Plastikmüll entsteht im Alltag vor allem bei Verpackungen – von der Nudelpackung über das Duschgel bis zum Kaffeebecher. Plastik wird aus Erdöl hergestellt und kann von der Natur nicht abgebaut werden. Es wird vielmehr in sehr kleine Teile zerrieben. Bei einer Plastiktüte dauert das etwa 20 Jahre. Wir sitzen zwar auf immer weniger Erdöl, jedoch auf einem wachsenden Berg Plastikmüll. 

Gegen die Plastikflut muss etwas unternommen werden, dachte Christine. Ihr kam die Idee einen Unverpackt-Laden zu gründen. Über einen E-Mail-Verteiler suchte sie nach Mitstreitern und lernte so Jenny und Franzi kennen. In einem Gemüseladen, dem Maingemüse in Bornheim, begannen sie unverpackte Lebensmittel zu verkaufen bis sie ihren eigenen Laden in Bockenheim eröffnet haben. Das war im März 2019. 

Zwischen Lastenrad und LKW 

„Seitdem ist das Sortiment stark gewachsen. Wir haben uns erstmal daran orientiert, welche Produkte überhaupt gekauft werden“, erzählt Alessa. „Wir hatten auch recht schnell den Onlineshop – noch vor dem gramm.genau-Laden! Wir haben festgestellt, dass das einfach dem Zeitgeist entspricht. Die Kunden schicken uns ihre Einkaufszettel und wir verpacken alles in Pfandgläser und Jutebeutel. Sie können ihre Bestellung entweder an zwei Stationen in Sachsenhausen und Bornheim abholen oder sie sich bis vor die Tür liefern lassen – natürlich mit dem Lastenrad.“ 

Schnell stellte sich heraus, dass auch der Unverpackt-Laden dem Zeitgeist entspricht. „Am Anfang standen die Kunden bis auf die Straße an“, berichtet Alessa und lacht etwas ungläubig. Sie scheint noch immer überrascht zu sein, wie gut der Unverpackt-Laden angenommen wird. „Inzwischen haben zwei weitere Unverpackt-Läden eröffnet. Wir finden das gut, denn wir können gar nicht ganz Frankfurt bedienen.“ Bestellt wird nur einmal pro Woche. Die Lebensmittel kommen in Paketen von 20 bis 25 Kilo und werden per LKW geliefert. Der soll natürlich auch so wenig wie möglich fahren. 

Unverpackt – wirklich ohne Verpackung? 

Foto: Kathi Krechting k.fotografie&artdesign

Wie sind die gelieferten Sachen verpackt? Wo sind die Grenzen von unverpackt? „In irgendeiner Form muss ja alles verpackt sein“, entgegnet Alessa. „Der LKW kann uns das Müsli ja schlecht vor die Tür schütten.“ Was geht, wird in Papier bestellt. Mit den Nudeln war das zuerst nicht so, doch nachdem sie beim Händler nachgefragt haben, liefert der nun auch in Papier. Das ist immerhin recycelbar. 

Hand aufs Herz: Wie viel Müll entsteht hinter den Kulissen? „Das meiste ist Papiermüll und Biomüll. Was geht, versuchen wir in Papier verpackt zu beziehen. Das Crunchy-Kokos-Müsli wird zum Beispiel in Bio-Plastik geliefert, weil es sonst den Geschmack des Papiers annimmt.“ Bio-Plastik besteht aus nachwachsenden Rohstoffen wie Mais- oder Kartoffelstärke. Das Bio-Plastik kann allerdings nicht so einfach kompostiert werden, da es sehr lange dauert bis es abgebaut ist. Außerdem wird es oft falsch entsorgt und landet gar nicht erst im Kompost. Das Team vom Unverpackt-Laden weiß das und sucht nach Alternativen. Man kann die Welt schließlich nicht an einem Tag retten.

Raum für Diskussionen 

Während wir uns unterhalten, kommen immer mehr Kunden in den Laden, unter anderem zwei Kinderwägen. Langsam wird es eng. „Das Café soll grundsätzlich Raum für Diskussionen bieten“, erklärt Alessa.  „Wir haben einen interaktiven Ansatz. Wenn jemand das Unverpackt-Konzept nicht kennt, erklären wir es. Wir bieten hier auch Workshops an, zum Beispiel einen Zero-Waste-Starter-Workshop.“  Auch ganze Schulklassen hätten schon in der Tür gestanden. Das sei eigentlich kein Problem, sagt Alessa. Inzwischen bitten sie jedoch um vorherige Anmeldung. 

Bevor ich gehe, möchte ich noch von Alessa wissen: Wen sieht sie in der Verantwortung, den Verpackungswahnsinn einzudämmen? „Wir sind durchaus der Meinung, dass die Politik einen Impuls geben sollte. Wir haben letztes Jahr den Ernährungsrat Frankfurt mitgegründet und sind selbst politisch aktiv, aber wir merken, dass Veränderungen auf dieser Ebene nicht so schnell umgesetzt werden. Deswegen liegt die Verantwortung auch bei allen Konsumenten und Händlern. Wir sollten unser Bewusstsein schärfen und unsere Nachfrage nach unverpackten Produkten deutlich artikulieren. Im besten Fall kaufen in Zukunft alle Menschen unverpackt ein!“ 

Von Julia Weise