
22 May Life in Sync – Wie Hormone Karriere und Kreativität beeinflussen
Hormone sind nicht nur für Schwangerschaften oder die Wechseljahre ein wichtiger Faktor, sie wirken auch auf unsere Leistung, Kreativität und Gesundheit – ein Leben lang. Zeit, dass sie endlich mehr Aufmerksamkeit erhalten. Ein Deep-Dive in unseren Trend Life in Sync.
Beim Thema Hormone denken viele oft automatisch an Pubertät, Sexualität oder Schwangerschaft. Doch ihre Wirkung geht weit über diese Bereiche hinaus, denn sie sind stille Taktgeber unseres Lebens, die fast alle unsere Körperfunktionen steuern. Was viele nicht wissen: Neben unseren Sexualhormonen zählen zu diesen Botenstoffen unter anderem auch Cortisol oder die Schilddrüsenhormone. Gemeinsam sorgen sie dafür, dass nahezu alle lebenswichtigen Prozesse unseres Körpers – von Stoffwechsel und Immunsystem über Schlaf und Stimmung bis hin zu Wachstum, Fortpflanzung und sogar Denkvermögen – funktionieren. Ohne Hormone könnten wir weder Energie speichern noch Stress bewältigen, keine Muskeln aufbauen, keine Emotionen regulieren und keine gesunde Zellteilung aufrechterhalten. Sie halten Körper und Geist in Balance – oder bringen beides aus dem Gleichgewicht, wenn ihr Zusammenspiel gestört ist.
Vom Zyklus bis zur Menopause: Hormone brauchen mehr Sichtbarkeit
Besonders für menstruierende Personen begleiten Hormone jeden Tag, jede Entscheidung, jede Veränderung – vom ersten Zyklus in der Pubertät bis weit über die Menopause hinaus. Und obwohl sie unser Wohlbefinden und unsere Leistung maßgeblich beeinflussen, wird ihnen in vielen unserer Lebensbereiche bislang erschreckend wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Dabei ist es nichts anderes als kluge Selbstführung – basierend auf biologischem Wissen, den Rhythmus unseres Körpers zu berücksichtigen. Warum also nicht die unterschiedlichen Phasen des Menstruationszyklus nutzen? Wie das gelingt, haben wir in einer Ausstellung auf unserer Trendvernissage gezeigt (zum Nachlesen hier einfach nach unten scrollen und unsere Tipps ausprobieren).
Doch der Menstruationszyklus ist nur ein Teil des hormonellen Ganzen. Frauen durchlaufen im Laufe ihres Lebens verschiedene hormonell geprägte Phasen, die sich stark auf das (berufliche) Dasein auswirken können. In der Perimenopause – also der Zeit vor den Wechseljahren – schwankt der Hormonspiegel massiv und verursacht bei vielen Frauen Beschwerden. Die Menopause selbst, das Ende der fruchtbaren Phase, markiert schließlich einen tiefgreifenden biologischen und psychischen Umbruch – mit ganz eigenen Herausforderungen.
Ein Tabu wird zum Thema
In der gesellschaftlichen Diskussion gewinnen die Themen Hormone, zyklisches Leben und Arbeiten, Perimenopause und Wechseljahre aktuell deutlich an Aufmerksamkeit. Zunehmend engagieren sich in Deutschland Fachgesellschaften, Fachleute und Initiativen, um Aufklärung zu leisten und Tabus zu brechen.
Die 2023 von Journalistin Miriam Stein gegründete Initiative #wirsind9Millionen beispielsweise macht sichtbar, dass etwa neun Millionen Frauen hierzulande aktuell in den Wechseljahren sind – und fordert mehr gesellschaftliche und politische Aufmerksamkeit für deren Bedürfnisse. Fachärztinnen wie die Gynäkologin Dr. Judith Bildau und die Internistin Dr. Helena Orfanos-Boeckel setzen sich in Medien und auf Social Media für eine offene, fundierte Aufklärung ein, vermitteln medizinisches Wissen und plädieren für eine individuell angepasste medizinische Betreuung. Auf Instagram finden sich Accounts wie @Wexxeljahre, die Betroffenen auf Social Media und über eine Wissensplattform im Netz Informationen, Erfahrungsberichte und Austausch bieten, um mit den Herausforderungen der Wechseljahre besser umgehen zu können.
Die unterschätzte Wirtschaftskraft: Hormone und Fachkräftemangel
In der Arbeitswelt ist all das bis auf wenige Ausnahmen jedoch meist noch unsichtbar. Zyklusbeschwerden werden verschwiegen, Wechseljahre nicht thematisiert. Wer leidet, zieht sich zurück – oder beißt sich durch. Dabei hat dieses kollektive Schweigen längst messbare Folgen: Laut der MenoSupport-Studie unter der Leitung von Ökonomin Prof. Dr. Andrea Rumler von der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin gehen der deutschen Volkswirtschaft jährlich rund 9,4 Milliarden Euro durch unbehandelte Wechseljahresbeschwerden verloren – und das ist nur eine konservative Schätzung. Grundlage für die Berechnung war die Annahme eines durchschnittlichen Produktivitätsverlustes von nur einer halben Stunde pro Woche. Fehlzeiten, Klinikaufenthalte oder frühzeitige Berufsaufgaben wurden nicht einmal berücksichtigt. Ein ausführliches Interview zur Studie mit Dr. Andrea Rumler gibt es zum Nachhören im MDR-Podcast „Hormongesteuert“.
Besonders betroffen machen die Symptome, die Frauen in dieser Phase am stärksten belasten – und die oft nicht als solche erkannt werden: Laut der Studie sind die häufigsten Einschränkungen im Beruf Konzentrationsprobleme, Schlafstörungen, depressive Verstimmungen sowie Hitzewallungen – und zwar genau in dieser Reihenfolge. Insgesamt gaben 93 Prozent der befragten Frauen an, unter Beschwerden zu leiden.
Die Auswirkungen auf die Erwerbstätigkeit sind dramatisch: Jede zehnte Frau denkt über einen vorzeitigen Ruhestand nach oder hat diesen bereits angetreten. Über 40 Prozent der Frauen geben an, beruflich kürzerzutreten – durch Stundenreduktion, einen Jobwechsel oder den Verzicht auf eine Beförderung. Gerade angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels riskieren Unternehmen den Verlust von Kompetenzen, Wissen und Innovationskraft, wenn sie es versäumen, die Bedürfnisse von Frauen in hormonellen Umbruchphasen ernst zu nehmen.
Was Frauen in dieser Zeit zusätzlich belastet: Nur rund fünf Prozent der Betroffenen geben an, eine unterstützende Führungskraft zu haben. Die meisten erleben wenig bis kein Verständnis im Teamumfeld – auch, weil das Thema noch immer ein Tabu ist.
Hormonwissen als Zukunftsmodell für Unternehmen
Einige wenige Unternehmen haben das erkannt. Sie bieten Zykluscoachings an, holen sich Fachvorträge zur hormonellen Gesundheit ins Haus oder integrieren das Thema Menopause und Hormonveränderungen in ihr betriebliches Gesundheitsmanagement. Spannende Einblicke in erste unternehmerische Best Practises gibt Dr. Katrin Schaudig, Präsidentin der Deutschen Menopausegesellschaft, in Folge 32 des bereits erwähnten MDR-Podcasts. Erste Erfahrungen zeigen: Gerade männliche Führungskräfte müssen für das Thema sensibilisiert werden, denn nur so gelingt ein echter Kulturwandel. Formate für einen Austausch am Arbeitsplatz oder klare Kommunikationsangebote helfen, das Thema zu enttabuisieren – und unterstützen Frauen dabei, offen darüber zu sprechen und Lösungen zu finden.
Denn am Ende geht es um mehr als den weiblichen Zyklus. Es geht um eine neue Haltung im Umgang mit Leistung, Gesundheit und individuellen Bedürfnissen. Um einen Safe Space, in dem gesagt werden darf: Heute kann ich nicht alles geben – und morgen dafür umso mehr. Wenn wir lernen, im Rhythmus unserer inneren Uhren zu arbeiten statt gegen sie, entsteht eine Arbeitswelt, in der alle gewinnen. Weil wir anerkennen, dass Unterschiedlichkeit dazugehört – und weil Hormone uns genauso ausmachen wie unsere Talente oder Temperamente.
Life in Sync ist deshalb mehr als ein Trend. Es ist eine Einladung an Unternehmen, hinzuhören und umzudenken. Und an jede einzelne Person, den eigenen Zyklus – oder hormonellen Lebenslauf – nicht als Störfaktor, sondern als Ressource zu begreifen. Denn: Wer im Einklang mit sich lebt und arbeitet, kann nicht nur achtsamer mit sich selbst umgehen, sondern ist auch produktiver, kreativer und zufriedener.
Über die Autorin Rena Schäfges:
Rena studierte Germanistik und Geschichte in Heidelberg und Frankfurt, schrieb als freie Autorin für Tageszeitungen und arbeitete viele Jahre als Redakteurin im Bereich Corporate Publishing. Gute Geschichten lesen und selbst erzählen, das ist seit jeher ihre Leidenschaft. Bei Adel & Link leitet sie als Director die Unit Storytelling & Employer Comms.
Header & Herz-Illustration: Adel & Link HIVE Studios
Fotos: Marvin Fuchs (Rena Schäfges), Unsplash / Anthony Tran I; thisisengineering