25 Oct FemTech: der wachsende Markt für fast 4 Milliarden Menschen
Wenn es um Leben und Tod geht, ziehen Frauen* regelmäßig den Kürzeren. Zum Beispiel bei einem Autounfall oder einem Herzinfarkt. Schuld daran ist der „Gender-Data-Gap“, womit die lückenhaften medizinischen Daten über den weiblichen Körper gemeint sind. So werden Crash-Tests fast ausschließlich an Dummys durchgeführt, die Männern nachempfundenen sind, weshalb auch die Sicherheitsvorkehrungen in Autos auf den durchschnittlichen Mann ausgelegt sind. Die Folge? Frauen haben ein größeres Sterberisiko, wenn sie verunglücken. Auch die breite Bevölkerung kennt sich oft nicht ausreichend aus: Bei einem Herzinfarkt klagen Betroffene über starke Schmerzen in der Brust und im linken Arm, oder? Die Antwort lautet: jein, denn diese Beschreibung trifft hauptsächlich auf Männer zu. Bei Frauen kann sich der medizinische Notfall auch weniger eindeutig zeigen, etwa durch Nackenschmerzen, Übelkeit und Atemnot. Wer unsicher ist, zögert. So warten Frauen im Durchschnitt eine halbe Stunde länger, bis sie den Notruf wählen.
Dass solche Fakten nicht nur uns Normalsterblichen, sondern auch dem Personal medizinischer Facheinrichtungen nicht immer bekannt sind, lässt sich anhand der Geschichte erklären: 1977 verbot eine Richtlinie in den USA die Beteiligung von Frauen an medizinischen Studien. Gründe waren die Sorge um eine eingeschränkte Fertilität sowie der potenziell größere Aufwand. Schließlich verkomplizieren Menopause, Hormonspiegel und unterschiedliche Verhütungsmittel die Auswertung der erhobenen Daten. Erst 1993 wurde diese Richtlinie revidiert und bis heute kämpfen Frauen für eine Gleichbehandlung im medizinischen Bereich.
Technologische und innovative Lösungen für die gesundheitlichen Probleme von Frauen: So lautet deshalb das Ziel der „FemTech“-Unternehmen, die sich auf dem Markt immer mehr etablieren. Eingeführt wurde die begriffliche Fusion von „female“ und „technology“ 2016 von Ida Tin, Gründerin der App Clue, mit der Menstruierende ihren Zyklus tracken können. Im Fokus dieser Start-ups liegen die Bereiche Schwangerschaft, Menstruation, gynäkologische Geräte und Fruchtbarkeit. Als langfristiges Ziel gilt es jedoch, den Horizont zu erweitern und sich mit Alzheimer, bestimmten Krebsarten und Immundefekten zu beschäftigen, die hauptsächlich Frauen betreffen. Das Potenzial dieses Marktes haben bereits große Firmen wie Apple erkannt, die sich beispielsweise mit neuen Funktionen der Apple Watch als Marktführer etablieren wollen.
Starke Frauen, starke Ideen, starkes Business
Der Einfluss der Periode auf das Leben des menstruierenden Teiles der Bevölkerung nimmt immer mehr zu. Bessere Ernährung, weniger Schwangerschaften und kürzere Stillzeiten sorgen für durchschnittlich 450 Zyklen im Leben. Vor 100 Jahren waren es gerade einmal 40. Das bringt nicht nur eine körperliche Belastung mit sich, sondern auch eine seelische. Etwa 80 Prozent der 12–13-jährigen Mädchen, die ihre erste Regelblutung bekommen, wissen nicht genau, was in ihrem Körper eigentlich vorgeht. Doch auch viele Erwachsene rund um den Globus leiden unter der teilweise mangelhaften Aufklärung.
Etwa die Hälfte der Frauen mit starken Periodenschmerzen sucht keinen ärztlichen Rat auf, weil sie sich missverstanden und allein gelassen fühlt. Die Aussage „Probieren sie es doch mit der Pille“ hilft vielen Patientinnen nicht weiter. Endometriose, eine Krankheit, bei der sich Zellen der Gebärmutterschleimhaut an Organen wie Eierstöcken oder am Darm ansiedeln und dort ins Gewebe wachsen, ist vielen unbekannt, obwohl sie 8–15 Prozent der Frauen zwischen Pubertät und Wechseljahren betrifft. Trotz teilweise erheblicher Schmerzen und Einschränkungen im Alltag wird die chronische Erkrankung durchschnittlich erst nach 6–7 Jahren diagnostiziert.
Hier einige Beispiele für neue Femtech-Gadgets:
Das smarte Armband Grace erkennt mithilfe von drei Sensoren aufkommende Hitzewallungen und kühlt den Körper rechtzeitig ab. Gerade in der Menopause oder bei Hormonumstellungen eine große Erleichterung!
Lattice Medical entwickelt Bioprothesen, die Brustkrebs-Patientinnen wieder etwas Normalität zurückgeben. Und das mithilfe von 3D-gedruckten Bio-Materialien, die die Regeneration des Fettgewebes und dadurch die natürliche Rekonstruktion der Brust anregen.
Next Gen Jane ist ein intelligenter Tampon, der das Blut sammelt und durch das zugehörige Test-Kit eine Analyse davon ermöglicht. So können Krankheiten wie Gebärmutterhalskrebs frühzeitig diagnostiziert werden.
Cirqle Biomedical bietet mit OUI eine hormonfreie Kapsel zur Verhütung an. Sie wird vaginal eingeführt und verhindert für 24 Stunden die Empfängnis. Allerdings ist sie derzeit noch in der Studienphase.
Studien lässt sich entnehmen, dass Unternehmen mit diversen und auch mit rein weiblichen Gründungsteams höhere Umsätze generieren. Damit öffnet die FemTech-Branche den Arbeitsmarkt für talentierte Unternehmerinnen, Programmiererinnen und Entwicklerinnen, die von männergeführten Unternehmen teilweise ignoriert werden. Um dem zusätzlich entgegenzuwirken, zeichnet das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) regelmäßig die „Expertin des Monats“ aus dem Forschungs- und Technologiebereich aus. Die Message: Auch Frauen können erfolgreich sein! Doch das fällt in der FemTech-Branche immer noch schwer, denn viele Online-Plattformen verbieten Wörter wie „Vagina“ oder „Periode“ – Begriffe, die für die Vermarktung wichtiger gesundheitlicher Produkte essenziell sind.
Ein kleiner Schritt im Markt, ein großer Schritt für 50 Prozent der Bevölkerung
Wenn doch so viele Menschen davon betroffen sind, warum wird nicht mehr in FemTech investiert? Die Erklärung ist einfach: Die meisten Investierenden sind ehemalige Gründungsmitglieder von Start-ups, also hauptsächlich Männer. Weibliche FemTech-Gründerinnen haben es schwerer, diese männerdominierte Welt von sich zu überzeugen, vielleicht weil für diese die Themen rund um den weiblichen Körper einfach nicht interessant oder bekannt genug sind oder sogar abschreckend wirken.
Das Resultat: Im Jahr 2021 kamen nur 1,4 Prozent aller HealthTech-Investments in FemTech und nur 4 Prozent aller Forschungs- und Entwicklungsgelder des Gesundheitswesens der Gesundheit von Frauen zugute. Und das, obwohl die Nachfrage ausreichend vorhanden sein sollte und der Markt genug Lücken lässt, die von Biopharma- und Medizintechnikunternehmen nicht abgedeckt werden.
Wir hoffen, dass FemTech diese Themen in Zukunft zugänglicher macht und Innovation und Veränderung bringt: Es ist schließlich super, wenn Frauen sich für ihre Gesundheit einsetzen, doch es ist an der Zeit, dass sich die gesamte Gesellschaft beteiligt!
*Mit „Frauen“ und „Männern“ sind hier Cis-Frauen und Cis-Männer gemeint. Also solche, deren Geschlechtsidentität mit dem biologischen Geschlecht übereinstimmt.
Text: Emelie Trimpel
Beitragsbild: Sora Shimazaki via Pexels