29 Nov Genie in a Bot – Hilfe, meine KI halluziniert
2023 beherrschten Nachrichten rund um künstliche Intelligenz (KI) die Headlines. Der Fortschritt wirft jedoch auch Fragen zu Urheberrecht und Vorurteilen auf – ein verantwortungsvoller Umgang mit der Technologie ist essenziell.
Bereits über 70 Jahre ist es her, dass der britische Wissenschaftler und Kryptoanalytiker Alan Turing einen Ansatz entwickelte, der das Vorhandensein künstlicher Intelligenz beweisen sollte. Anhand der Antworten, die ein Computer einem Menschen gab, sollte dieser die Maschine nicht mehr von einem Menschen unterscheiden können. Konnte der Proband Mensch und Maschine nicht auseinanderhalten, hatte die Maschine den Test bestanden, ihre künstliche Intelligenz (KI) war bewiesen und die simulierte Menschlichkeit perfekt – zumindest fast. Denn rund 15 Jahre später entwickelte Informatiker Joseph Weizenbaum den ersten Chatbot: Eliza. Den Enthusiasmus vieler Menschen für KI beäugte er jedoch skeptisch und schlussfolgerte, dass wir uns leicht täuschen lassen und selbst einfachen Computerprogrammen Eigenschaften wie Empathie und Intelligenz zuschreiben.
Und jetzt? Fast 60 Jahre später zieht uns der Genie in a Bot noch immer in seinen Bann.
Generative KI im Fokus
Neu ist das Thema künstliche Intelligenz mitsamt ihren Kontroversen also nicht. Und trotzdem haben uns Begriffe wie AI, Machine Learning und Large Language Models im Jahr 2023 durchgehend begleitet. Das liegt vor allem an den Fortschritten in der generativen KI, die Texte, Bilder und Videos erschaffen, sogar Stimmen nachahmen kann. Maschinell erzeugte Bilder und Texte fluten unsere Social-Media-Feeds.
Die Auswirkungen der Tools sind nicht zu ignorieren: Chatbots erleichtern uns die Arbeit, schreiben alles von LinkedIn-Posts bis hin zu Beileidsbekundungen, erstellen Projektpläne und produzieren ganze Kinderbücher. Wer eher auf der Suche nach visuellem Input ist, stößt auf Filter, die uns zeigen, wie unsere Schulfotos in den 1980er-Jahren ausgesehen hätten. Oder sie geben uns in Form von Selfies Einblicke in verschiedene Epochen (dabei stets makellos und samt Hollywoodlächeln). Eine wirkliche Arbeitserleichterung und lustige Spielerei für die einen, ein fast dystopischer anmutender Fortschritt der Technik für andere.
Kein Fortschritt ohne Risiko?
Trotz ihrer Fähigkeiten und breiten Einsatzmöglichkeiten sorgen die neuen Anwendungen zu Recht für Diskussionen. Nicht zuletzt dadurch, dass die fortwährende Verbesserung künstlicher Intelligenz auch das zuverlässige Erkennen ihrer Produkte bedeutend erschwert. Was tun wir, wenn wir – wie Turings Testsubjekt – nicht mehr in der Lage sind, einen künstlich generierten Text von einem menschlichen zu unterscheiden? Während das bei von KI verfassten LinkedIn-Posts vielleicht weniger brisant ist, sieht es bei Romanen und wissenschaftlichen Arbeiten schon anders aus. Schließlich wirft das die Frage auf, was mit dem Urheberrecht passiert, wenn generative KI sich an einem riesigen Fundus bereits bestehenden Materials und geistigen Eigentums bedient – meist ohne das Wissen der Urheber:innen. Dann wären da noch Risiken wie AI Bias, der Vorurteile, die das Handeln einer KI beeinflussen. Schließlich ist eine KI nur so gut, wie das Futter, aus dem sie lernt.
Imitation und Intelligenz
Auf alle Risiken einzugehen – seien sie real oder nur vermutet – würde den Rahmen dieses Textes sprengen. Dennoch gibt es bei all den Gefahren auch Chancen – effizientere Arbeitsabläufe, Automatisierung repetitiver Aufgaben und Effizienzsteigerung sind nur einige wenige davon. Doch wie die Menschen, die sie einsetzen, neigen auch künstliche Intelligenzen selbst zu Halluzinationen. So häuften sich Beschwerden, dass sie dazu tendieren, Fakten, ganze Lebensläufe oder gar Quellen zu erfinden. Das Cambridge Dictionary wählte hallucinate, also halluzinieren, sogar zu ihrem Wort des Jahres 2023. Aus ihrer Begründung geht hervor, dass die Rolle des Menschen im Training der Modelle (und der kritischen Auseinandersetzung mit den Materialien) unabdingbar ist:
“AI hallucinations remind us that humans still need to bring their critical thinking skills to the use of these tools,” … “Large language models are only as reliable as the information their algorithms learn from. Human expertise is arguably more important than ever, to create the authoritative and up-to-date information that LLMs can be trained on.”
Tatsächlich wird davor gewarnt, sich bei Recherchen komplett auf KI-Chatbots als Informationsquellen zu verlassen, denn es handelt sich immer noch um Maschinen, die natürliche Sprache imitieren sollen. 2023 hat gezeigt: Sie können durchaus überzeugende, sogar menschlich klingende Antworten produzieren. Ob diese faktisch richtig sind, sollte jedoch unbedingt kritisch geprüft werden. Übrigens – Turing selbst hatte seinen Test zum Nachweis künstlicher Intelligenz als „imitation game“ bezeichnet.
KI-Tools im Agenturalltag
Auch im Agenturalltag setzen wir generative KI bereits ein. Für Social-Media-Posts liefern Tools erste Strukturen und auch beim Schreibprozess können sie hilfreich sein. Der eine Satz, an dem man schon seit einer halben Stunde grübelt, wird von der KI kurzerhand umgeschrieben. Und plötzlich ergibt er Sinn.
Aus diesem Grund haben wir uns vor Kurzem dazu entschlossen, eine Positionierung zu entwickeln, die unsere Richtlinien in der Verwendung von künstlicher Intelligenz offenlegt und zeigt, wie wir in Zukunft mit dem Thema umgehen wollen. Denn begleiten wird es uns auch weiterhin.
Eine Stütze? Das sind die Tools allemal – zumindest haben sie das Potenzial, eine zu sein –, wenn man sie zu nutzen weiß. Und das ist ein Prozess. Doch der Zeitpunkt, sich zurückzulehnen und der KI die Bühne ganz zu überlassen, ist sicherlich noch nicht gekommen.
Über die Autorin: Melissa Walker ist Senior Consultant Research & Data Storytelling. In ihrer Rolle befasst sich Melissa vor allem mit den Themen Datenkommunikation und Trends. Zudem schreibt sie gern deutsche und englische Texte. Bevor sie 2019 bei Adel & Link begann, machte sie ihren Bachelor in English Studies & Spanish und ihren Master in Strategic Communication & PR.
Header & Porträt: Adel & Link HIVE Studios
Fotos: Unsplash – Nijwam Swargiary, rock-n-roll-monkey