22 Nov Evolving Education – wie KI die Schule verändert
Hausaufgaben im Bus abschreiben war gestern: Heute übernimmt ChatGPT. In unserem letzten Trendtext in 2024 beleuchten wir, wie es um das Lernen und Lehren im KI-Zeitalter steht – und was KI in der Schule verändert.
Am 10. Oktober 2024 haben die Kultusminister:innen eine gemeinsame Empfehlung für den Umgang mit KI in der Schule verabschiedet. Wer denkt, dass es dabei um rigorose und realitätsferne Verbote geht, wird überrascht sein. Der Boom der generativen künstlichen Intelligenz scheint selbst auf das verschlafene deutsche Bildungssystem wie ein Weckruf zu wirken: Tatsächlich plädieren die Kultusminister:innen für einen konstruktiv-kritischen Umgang mit KI – und nicht etwa für strikte Verbote.
Ohne KI ist auch keine Lösung: Hausaufgaben mit ChatGPT
Schon im Frühjahr 2023 hatte Bitkom ermittelt, dass mehr als die Hälfte aller Schüler:innen in Deutschland ChatGPT nutzte. Entsprechend realitätsnah wirkt die Haltung der Kultusminister:innen. „Ein allgemeines Verbot von KI bei Hausaufgaben ist weder zielführend, wünschenswert noch durchhaltbar“, heißt es in ihrer länderübergreifenden Handlungsempfehlung (entgegen der Praxis an vielen Schulen). Zudem halten sie eine frühzeitige Auseinandersetzung für sinnvoll und befürworten deshalb den begleiteten Umgang mit KI bereits in der Grundschule.
Ziel ist es, Schüler:innen und Lehrkräfte über alle Jahrgangsstufen hinweg auf einen verantwortungsvollen Umgang mit der Technologie vorzubereiten. Das ist sinnvoll, denn auch unter den Lehrkräften steigen Interesse und Bereitschaft, sich mit KI auseinanderzusetzen. Laut einer im Oktober veröffentlichten Umfrage des deutschen Digitalverbands Bitkom hat bereits die Hälfte der Lehrkräfte KI für schulische Zwecke genutzt. 28 Prozent der rund 500 befragten Lehrkräfte haben KI für den Unterricht noch nicht ausprobiert, wollen dies aber bald tun. Allerdings finden sogar 39 Prozent, dass KI in der Schule nichts verloren hat.
KI in der Schule: intelligente Tutorsysteme
Es gibt also noch einiges zu tun, damit KI in der Schule nicht überstürzt, sondern sinnvoll integriert werden kann. Wie gut, dass einige Lehrkräfte mit fortschrittlichem Beispiel vorangehen – so wie Gymnasiallehrer und KI-Experte Florian Nuxoll, der auf der Trendvernissage unserer Agentur sprach. Er forscht an der Universität Tübingen im Bereich der Computerlinguistik zu intelligenten Tutorsystemen (ITS) und verwendet sie in seinem Unterricht.
ITS werden beispielsweise mit den Aufgaben eines Englisch-Workbooks und dem passenden Feedback zu typischen Fehlern „gefüttert“. Sie können zusammen mit der Lehrkraft den individuellen Wissensstand der Lernenden im Blick haben, diesen ihre Stärken und Schwächen im Fach aufzeigen und die Aufgaben daran anpassen.
Auf einem Dashboard sehen die Lehrkräfte sowohl die individuellen Wissensstände als auch die der ganzen Klasse und können den Unterricht entsprechend gestalten. ITS können außerdem konkretes, unmittelbares Feedback zu Aufgaben geben: ein Vorteil für das Lernen zu Hause, ebenso wie im Unterricht. Allerdings gibt es derzeit noch nicht genügend fachbezogene intelligente Tutorsysteme, die verlässlich funktionieren.
Lernen neu lernen: Der Weg ist das Ziel
Vor allem generative KIs bergen natürlich die Gefahr, dass Menschen immer öfter die Schlummertaste für ihr eigenes Denkvermögen drücken. Im Schulumfeld bedeutet das: Wenn ChatGPT in Sekundenschnelle Inhaltsangaben schreibt, Daten analysiert und Kapitel zusammenfasst, warum sich dann noch selbst damit abmühen?
Laut KI-Experte und Lehrer Florian Nuxoll zeigt sich hier ein Problem, für das er im Dialog mit ChatGPT sogar einen eigenen Begriff entwickelt hat: Skill-Skipping. „Schülerinnen und Schüler können sich per KI dem Lernprozess entziehen. Sie geben zwar das Endprodukt ab, aber der Weg dorthin, das eigentliche Lernen, findet nicht statt“, erklärt er in einem Gastbeitrag für die Zeit. „Lernen bedeutet niemals, ein fertiges Produkt abzuliefern: einen guten Text, ein informatives Poster oder eine überzeugende Präsentation. Es geht darum, sich Wissen selbst anzueignen und Kompetenzen zu erwerben – durch Recherchieren, kritisches Denken und eigenständiges Formulieren.“
Unterricht muss anders werden – ebenso wie Prüfungen
KI in der Schule verbieten? Davon hält Florian Nuxoll nichts. Er setzt sich lieber für eine Umgestaltung des Unterrichts ein, der den eigentlichen Lernprozess in den Vordergrund rückt. Auch in der Handlungsempfehlung der Kultusminister:innen geht es neben der Professionalisierung der Lehrkräfte und weiteren Punkten um eine Veränderung der Prüfungskultur. Für Präsentationen beispielsweise dürfen die Schüler:innen mit KI arbeiten, die Eigenleistung soll jedoch klar erkennbar bleiben. Zudem soll sogar die Reflexionsfähigkeit im Umgang mit der Technologie nach der Empfehlung in die Bewertung einfließen.
All diese Vorhaben brauchen jetzt eine durchdachte Planung und eine zügige Umsetzung. Denn wenn wir die Weichen richtig stellen, lässt künstliche Intelligenz das Lernen nicht obsolet werden. Sie verändert die Art, wie wir lernen – und fordert gleichzeitig unser (kritisches) Denkvermögen heraus.
Über die Autorin Nina Heger:
Nach ihrem Bachelor in Buchwissenschaft und Germanistik war Nina jahrelang im Corporate Publishing tätig, bevor sie bei Adel & Link Wurzeln schlug. Als Senior Texterin beschäftigt sie sich heute mit den unterschiedlichsten Themen, Trends und Textsorten. Hier eine Case Study für Tech-Kunden, da ein Ratgeber für Inneneinrichtung oder ein Blogpost zu New Work: genau die richtige Mischung für die wortverliebte Copywriterin.
Header: Adel & Link HIVE Studios
Fotos: Bitkom (Grafik: KI-Nutzung unter Lehrkräften); Marvin Fuchs (Porträt Florian Nuxoll)