New Matter – nur schön grün oder echt nachhaltig?

Mit dem Trend New Matter schauen wir hinter die grüne Fassade scheinbar umweltfreundlicher Produkte und lernen dabei viel über die Verpackungsindustrie und Nachhaltigkeit.

Ich lebe in einem Zwei-Personen-Haushalt, achte darauf, unverpackte Lebensmittel zu kaufen, benutze festes Shampoo, verwende ausgewaschene Eispackungen als Vorratsboxen und trotzdem ist der gelbe Sack am Ende jeder Woche voll. Woher kommt das? Und ist es ein Problem, wo doch heutzutage so viel Plastik recycelt werden kann? Angesichts der Herausforderungen des Klimawandels und der Umweltverschmutzung will ich erfahren, welche Alternativen mir zur Verfügung stehen. Denn was als nachhaltige oder recycelbare Verpackung angepriesen wird, ist es nicht immer.

Recycling ist nicht die Lösung: Warum die Gesellschaft umdenken muss

Reduce – Reuse – Recycle: Mit diesem Mantra wollen wir die Abfallflut bekämpfen, die uns zu überwältigen droht, unsere Flüsse verschmutzt und als 1,6 Millionen Quadratkilometer große Insel auf dem Pazifik treibt. Weltweit gelangen weniger als 14 Prozent des recycelbaren Mülls wieder in den Materialkreislauf zurück, der Rest landet auf wachsenden Mülldeponien oder in der Natur.

In Deutschland sieht es zum Glück besser aus: Hier werden laut der letzten Messung 67,9 Prozent der Verpackungsabfälle recycelt. Das liegt auch an unserer konsequenten Mülltrennung. Wer öfter vor den vielen bunten Mülltonnen steht und nicht weiterweiß, findet bei der Initiative „Mülltrennung wirkt“ hilfreiche Tipps zur korrekten Mülltrennung.

Leider hilft Recycling aber nicht gegen den Abfall, der gar nicht recycelbar ist, wie die Berge kurzlebiger Fast Fashion, die aus untrennbaren Geweben aus Baumwolle und Polyester bestehen.

Biobasierte Produkte wollen Abhilfe schaffen, da sie aus nachwachsenden Rohstoffen gewonnen werden und sich teilweise sogar im Heimkompost abbauen lassen. Das Zauberpolymer heißt PLA (Polyactid) und wird aus Agrarabfällen wie Zuckerrohr oder Maisstärke hergestellt. Biomülltüten aus „Bioplastik“ werben damit, dass sie bedenkenlos kompostiert werden können. Im Kleingedruckten steht, dass dies nur in industriellen Kompostieranlagen bei Temperaturen von mindestens 60 Grad möglich ist. In der Natur würde so ein Beutel also ewig überleben – und in den meisten Städten und Gemeinden darf er nicht mal in die Biotonne, da die Kompostieranlagen technisch gar nicht entsprechend ausgerüstet sind. Laurel Miller und Stephen Aldridge erklären in ihrem Standardwerk „Why shrinkwrap a cucumber“ die Unterschiede zwischen biobasiert, biologisch abbaubar, recycelbar und kompostierbar, aber die Quintessenz ist klar: Nur mit Recycling und Bioplastik kommen wir nicht ans Ziel.

Es gibt kein Rundum-sorglos-Paket – Viele Erfindungen führen ans Ziel

Was wir brauchen, sind zum einen Materialien, die ewig halten, sowie eine andere Einstellung zu Konsum. Zum anderen neue wegweisende Verpackungslösungen, die biobasiert, vegan, (heim)kompostierbar und im besten Fall wiederverwendbar sind. Dazu kommen noch die Anforderungen der modernen Lebensmittelindustrie, wo Verpackungen hygienisch, stabil, wasserfest und möglichst leicht sein müssen – das ist New Matter. Klingt viel verlangt? Ist es auch, deshalb brauchen wir viele innovative Lösungen für verschiedene Anwendungsbereiche.

Diana Uschkoreit, eine Verpackungsexpertin bei BellandVision, bringt es auf den Punkt: „Eine eierlegende Wollmilchsau gibt es leider nicht.“ Zum Glück hat die Frankfurter Agentur MILK sich nachhaltige Verpackungslösungen auf die Fahnen geschrieben und betreibt das sogenannte Material Lab. Auf dieser Plattform teilen sie ausgefallene Plastikalternativen für verschiedene Zwecke. Hier bin ich fündig geworden und habe für unsere kleine New-Matter-Ausstellung auf der Trendvernissage 2024 ein paar Proben ausgesucht.

Organische Textilproben des Unternehmens Ananas Anam aus Resten der Ananasernte.

Die Textilproben von ANANAS ANAM bestehen aus Abfallprodukten der Ananasernte.

 

Arekapak stellt aus herabgefallenen Palmenblättern kompostierbare Vorratsboxen her.

 

Die Verpackung der Instantsuppe von Notpla besteht aus essbaren Algen und löst sich im Kochwasser auf.

Grow it yourself! – Pilzverpackung selbst gemacht

Pilze überzeugen nicht nur als leckerer Fleischersatz auf dem Teller, aus ihnen kann auch biobasiertes Verpackungsmaterial entstehen. Genauer gesagt: aus Myzel, dem fadenförmigen weißen Wurzelgeflecht, das sich bei manchen Pilzarten kilometerweit ausdehnen kann. Mithilfe dieser natürlichen Ressource stellt GROWN bio kompostierbare Verpackungen als Alternative zu herkömmlichem Styropor her. Das Resultat ist stabil, stoßdämpfend und nahezu feuerfest. Um mich selbst von diesen Eigenschaften zu überzeugen, habe ich ein Grow-it-yourself-Kit von GROWN bio bestellt und ein kleines Experiment gewagt.

In einer sterilen Umgebung mische ich ein Substrat aus lokalen organischen Abfällen mit etwas Mehl und Pilzsporen. Die Masse wird anschließend in eine beliebige Form gedrückt und darf an einem warmen Ort für fünf Tage wachsen. In dieser Zeit breitet sich eine weißlich geruchlose Schicht über das Substrat und hält es zusammen. Zum Schluss kommt das Ganze in den Ofen, um den Pilz abzutöten und das Wachstum zu stoppen. Fertig ist die kompostierbare Verpackung für zerbrechliche Gegenstände!

Die Zutaten für das Experiment: Substrat aus organischen Abfällen, Mehl und Pilzsporen.

 

Die Mischung in ihrer Form.

 

Selbst hergestellte Aufbewahrungsboxen aus Pilzmyzel in rund und quadratisch auf Backpapier liegend.

Das Ergebnis: Hergestellt aus Pilzmyzelsubstrat des Unternehmens GROWN bio, das dafür 2023 eine Auszeichnung des German Sustainability Award für diese nachhaltige Verpackung erhielt.

Not macht erfinderisch

Der Trend New Matter zeigt uns die Grenzen von Recycling und Bioplastik auf, wirft aber auch Licht auf die Vielfalt an innovativen Lösungen, die bereits existieren. Von Algenfolie bis zu Pilzverpackungen gibt es viele Ansätze, die Hoffnung auf eine nachhaltigere Zukunft machen. Indem wir verschiedene Wege testen, diese zur Marktreife bringen und unser Konsumverhalten überdenken, können wir einen kleinen, aber bedeutenden Beitrag zur Bewältigung der Müllkrise leisten.

 

Text & Fotos Ausstellungsstücke/Experiment: Laura Finckh

Header: Adel & Link HIVE Studios

Fotos: Unsplash, Nick Fewings